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Christliche Sozialethik und Gender-Debatte

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Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Die Gender-Debatte schlägt bisweilen auch in der Theologie und in kirchlichen Kreisen hohe Wellen. Es gibt ideologische Bezugnahmen von Befürwortern und Gegnern. In einem Themenheft der Reihe „Kirche und Gesellschaft“ der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) hat die Theologin Marianne Heimbach-Steins eine wissenschaftliche Einordnung des Gender-Ansatzes im Rahmen der Christlichen Sozialethik unternommen. (Download)

Ordo socialis hat eine spanische Übersetzung dieses wichtigen Diskussionsbeitrages anfertigen lassen, die ab sofort zum Download bereit steht.


Toleranz im Konflikt

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Ein Interview mit Prof. Dr. Markus Vogt und Rolf Husmann

Professor Markus Vogt, Vorsitzender des Beirates von Ordo Socialis, hat an der Universität Uzhgorod ein Projekt zur wissenschaftlichen Reflexion und zur gesellschaftlichen Förderung der Toleranz initiiert. Kooperationspartner ist neben anderen Dr. Alexander Bokotey, Direktor des dortigen Instituts für Ökologie und Religion und ebenfalls Mitglied unseres Beirates.Vor dem Hintergrund des aktuellen Konflikts mit Russland ist das ein hochspannendes Unternehmen. Wir haben darüber ein Gespräch mit Prof. Vogt und seinem Mitarbeiter Rolf Husmann geführt. Die Fragen stellte Arnd Küppers.

Lieber Markus, Du hast ein Projekt „Toleranz an den Grenzen Europas“ initiiert, das In Kooperation mit der Universität Uzhgorod und dem dort angesiedelten Institut für Ökologie und Religion durchgeführt wird und dessen erste Sequenz gerade erfolgreich beendet wurde. Wie ist diese Zusammenarbeit zustande gekommen, und was ist das Ziel des Projektes?

Vogt: Bereits im Jahr 2000 lernte ich im Rahmen meiner Tätigkeit für den Rat der Europäischen Bischofskonferenzen Akteure aus der Ukraine kennen, die sich in besondere Weise für soziale und ökologischen Verantwortung engagieren wollten. Die spezifischen Chancen und Schwierigkeiten der postsowjetischen Länder auf ihrem Weg in eine freiheitliche und plurale Gesellschaft und die Rolle der Kirchen dabei haben mich schon vom Studium her interessiert. Nach verschiedenen ökologisch ausgerichteten Projekten und der Mitgründung des Instituts für Ökologie und Religion an der Nationalen Universität Uschghorod (Westurkraine) hat mich überraschend ein Vertreter des Auswärtigen Amts der Bundesregierung angerufen. Er kannte meine Arbeit dort und fragte an, ob ich nicht zusammen mit den Ukrainischen Partnern ein Projekt zu ziviler Konfliktbewältigung wissenschaftlich begleiten wolle. Er war überzeugt, dass den Kirchen und der Christlichen Sozialethik hier eine zentrale Aufgabe zukomme. Das hat mich gereizt.

Im Rahmen dieses Projektes haben Du und Dein Mitarbeiter Rolf Husmann das Konzept proaktiver Toleranz entwickelt. Was ist das Besondere und Innovative an diesem Toleranzbegriff und dem darauf fußenden sozialethischen Ansatz? 

Husmann: Mit dem Begriff der proaktiven Toleranz wollen wir eine neue Dimension der Toleranz aufdecken. Vielfach wird unter Toleranz nämlich lediglich die Duldung anderer Verhaltensweisen, Meinungen und Eigenschaften verstanden. Das greift zu kurz. Auch wenn die Uno von einer aktiven Toleranz spricht, schöpft das noch nicht den Begriff ganz aus. Das aktive Eintreten für die Toleranz durch zivilgesellschaftliches Engagement für Meinungsfreiheit, faire Regeln des Zusammenlebens usw. ist eine wichtige Seite der Toleranz. Wir meinen aber, dass Toleranz proaktiv in einer Gesellschaft wirken kann, wenn sie als Haltung der Wertschätzung und des Vertrauens einen Perspektivwechsel ermöglicht. Das Anderssein wird dann nicht mehr als Bedrohung und nicht rein defizitär betrachtet, sondern als Bereicherung, die Neugier und Lernbereitschaft, Interesse und gegenseitige Achtung befördern kann. Das ist, wenn man so möchte, das Innovative an unserem Ansatz.

Die Ukraine ist ein Land, dessen territoriale Integrität seit 2014 von Russland massiv bedroht wird. Wir haben die völkerrechtswidrige Annexion der Krim erlebt, und immer noch sterben täglich Menschen in dem von Russland in der Ostukraine befeuerten irregulären Krieg sogenannter Separatisten. Ist es nicht wohlfeil, wenn wir als deutsche Sozialethiker den Ukrainern in einer solchen Lage eine Haltung und Politik der Toleranz zu empfehlen?

Vogt: Ähnliche Besorgnisse haben wir auch am Anfang in der Ukraine wahrgenommen, als wir mit unserem Projekt begannen. Aber die Ängste sind unbegründet. Es wäre wohlfeil, wenn man den Konflikt banalisiert. Das machen wir keineswegs und das haben auch unsere Gesprächspartner erkannt. Im Gegenteil: Wir nehmen den Konflikt sehr ernst. Toleranz ist ein Konfliktbegriff, d.h. Toleranz wird dann relevant und sichtbar, wenn es einen realen Konflikt gibt, der zur Unterscheidung zwingt zwischen Situationen, in denen Toleranz eine Forderung der Gerechtigkeit ist, und Situationen, in denen sich eine Demokratie wehren und für ihre Werte eintreten muss. Indifferenz ist nun einmal keine Toleranz! Der Russland-Ukraine-Konflikt ist darum ein Ernstfall, der uns alle fordert, die Grenzen der Toleranz richtig zu bestimmen. Deshalb gilt: Die Aggressionen von Russland dürfen keinesfalls heruntergespielt werden und schon gar nicht toleriert werden. Aber es gibt auch ein „nach dem Konflikt“ und das sollte man nicht aus den Augen verlieren.

In den letzten Jahren haben, vor allem im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen über Migration und Multikulturalität, Intoleranz und Ressentiment in Deutschland spürbar zugenommen. Können wir Deutschen auch etwas von den Ukrainern lernen, was das Miteinander in religiöser und kultureller Vielfalt angeht?

Husmann: Eine ganze Menge. Die Ukraine ist ein Schmelztiegel der Kulturen und Religionen und das schon seit Jahrhunderten. Die Ukraine und vor allem Transkarpatien hat immer von einer Kultur der Toleranz profitiert, besonders deutlich wurde dies an dem kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung, was unter der kuk Monarchie zu einer Blütezeit führte. Auch noch heute ist die Ukraine ein Lernort für uns Westeuropäer in Sachen Toleranz. Toleranz, gesellschaftlicher Austausch verschiedener Gruppen und Religionen stehen in der Ukraine an der Tagesordnung und werden durch Gesprächsformate institutionalisiert. Da können wir uns noch einiges abgucken. Wir müssen nur offen sein, von der anderen Geschichte und Kultur Osteuropas Impulse zu empfangen. Von daher verstehen wir uns auch nicht als Exporteure eines westeuropäischen Gedankens, sondern als Lernbereite, die am Dialog zwischen Ost und West gerne teilnehmen.

In Ihrem Beitrag „Proaktive Toleranz als ein Weg zum Frieden“ haben Prof. Dr. Markus Vogt und Rolf Husmann in Kooperation mit den anderen Beteiligten das theoretische Rahmenkonzept des Projektes erläutert.

Ethische Überlegungen für Tansania

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Die universelle Soziallehre der Kirche wird nur dann lebendig, wenn die Menschen und Gruppen sie mit Leben erfüllen. Wir freuen uns sehr, ein Beispiel präsentieren zu dürfen: “Ethical Reflections”, herausgegeben von Pater Vic Missiaen, geistlicher Leiter der „Christian Professionals of Tanzania.“ Diese Gruppe verfolgt die Idee, die moralischen Grundlagen ihrer Gesellschaft und ihres Landes wiederherzustellen. “Ethical Reflections” bietet keine fertigen Antworten, aber es enthält ein Kaleidoskop von Ideen, über die die „Christian Professionals of Tanzania“ mit anderen Gruppen der tansanischen Gesellschaft in Dialog treten wollen.  

Migration – afrikanische und europäische Perspektiven

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Am 10./11. Dezember hat die Konrad-Adenauer-Stiftung in Kooperation mit Ordo Socialis und der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ) in Berlin eine Fachtagung zu dem Thema „Migration sozial und gerecht gestalten“ veranstaltet. Der Fokus lag dabei auf der Migration innerhalb Afrikas und von Afrika nach Europa. Neben internationalen Experten aus verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen nahmen auch Politiker, Wirtschaftsvertreter sowie Repräsentanten kirchlicher und zivilgesellschaftlicher Organisationen an dem intensiven Austausch teil.

Foto: Dr. Arnd Küppers

Zu dem Thema Binnenmigration in Afrika sprach als erste Rednerin die senegalesische Unternehmerin Dr. Anne-Catherine Dior Senghor Beye, Trägerin des Ordo Socialis Preises 2018. In ihrem engagierten Vortrag betonte sie, dass die westafrikanischen Migrantinnen und Migranten in ihrer großen Mehrzahl durch wirtschaftliche Perspektivlosigkeit und blanke Not aus ihrer Heimat getrieben würden. Sie appellierte an die Europäer, diesen Menschen mit Solidarität und Nächstenliebe zu begegnen. Zugleich zeigte sich Frau Senghor Beye überzeugt, dass die Probleme Afrikas nicht durch Migration, sondern nur durch Veränderungen in den afrikanischen Ländern selbst gelöst werden können. Der Schlüssel liege in einer wirtschaftlichen Entwicklung, die den Menschen Lebensperspektiven vor Ort eröffnen müsse.

Die im Senegal für ihr soziales Engagement bekannte Unternehmerin nannte es einen Skandal, dass die in Afrika abgebauten Rohstoffe und erzeugten landwirtschaftlichen Güter ganz überwiegend im Ausland weiterverarbeitet würden. Das betreffe im Senegal etwa den Kakao. Wenn man wirtschaftliche Entwicklungsperspektiven für Westafrika eröffnen wolle, müsse man hier ansetzen und kleinen sowie mittleren lokalen Unternehmen Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Als Unternehmerin glaube sie an Markt und freien Handel – aber es brauche einen internationalen Markt, auf dem nicht das Recht des Stärkeren herrsche, sondern ein fairer Wettbewerb im Sinne der deutschen Sozialen Marktwirtschaft. Daran hapere es in vielen afrikanischen Ländern und im internationalen Handel. Die Gründe dafür seien vielfältig und von Land zu Land durchaus unterschiedlich gewichtet. Im Inneren vieler afrikanischer Länder seien Korruption und Ineffizienz der Verwaltung ein großes Problem. In Bezug zur Europäischen Union würden nicht-tarifäre Handelshemmnisse die afrikanische Wirtschaft nach wie vor stark ausbremsen. Zugleich nötigten internationale Organisationen wie IWF und Weltbank afrikanische Länder oft dazu, ihre eigenen Märkte zu früh für den Import zu öffnen, was den noch nicht wettbewerbsfähigen lokalen Unternehmen dann jegliche Entfaltungsmöglichkeit entziehe. Schließlich spielten internationale Großkonzerne nicht selten eine negative Rolle, weil sie sich allzu oft nicht um die Arbeits- und Lohnbedingungen vor Ort kümmerten und nur an der Ausbeutung afrikanischer Rohstoffe, aber nicht an der Entwicklung der lokalen Infrastruktur interessiert seien. Eine afrikanisch-europäische Entwicklungs- und Wirtschaftspartnerschaft müsse alle diese Faktoren in den Blick nehmen, wenn man nachhaltigen Erfolg zum wechselseitigen Vorteil erreichen wolle.

Foto: Dr. Arnd Küppers

Die wirtschaftlichen Entwicklungsperspektiven Afrikas standen auch im Mittelpunkt einer öffentlichen Abendveranstaltung, bei der zum Abschluss des ersten Konferenztages der stellvertretende OECD-Generalsekretär Dr. Ludger Schuhknecht sowie Christoph Kannengießer, Geschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft, mit Professor Obiora Ike, Direktor des Global Ethics Centre in Genf und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates von Ordo Socialis, über den Marshallplan mit Afrika und den Compact with Africa diskutierten. Die drei Panelisten vertieften unter der Moderation von Dr. Arnd Küppers, stellvertretender Direktor der KSZ sowie Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Beirates von Ordo Socialis, eine Reihe der Punkte, die bereits Frau Dr. Senghor Beye in ihrem Vortrag angesprochen hatte. Mit ihr waren sich alle drei einig, dass eine positive wirtschaftliche Entwicklung der Schlüssel ist, wenn man verhindern möchte, dass immer mehr gut ausgebildete junge Afrikaner ihrer Heimat den Rücken kehren und ihr Heil in Europa suchen.

Dabei ist es aber durchaus nicht im Interesse von Europa, die Migration aus Afrika möglichst gering zu halten. Genauso wie eine Entwicklungs- und Wirtschaftspartnerschaft muss auch eine Migrationspartnerschaft zum gegenseitigen Vorteil das Ziel sein. Das betonten am zweiten Konferenztag sowohl der Bundestagsabgeordnete Peter Weiß als auch Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbandes des deutschen Handwerks, in ihrer Diskussion mit dem nigerianischen Theologen und Sozialexperten Dr. Tobe Nnamani. Deutschland habe seinen Fachkräftebedarf bislang durch Zuwanderung aus anderen, insbesondere osteuropäischen EU-Ländern decken können. Das aber werde zunehmend schwierig. Viele osteuropäische Mitgliedsländer in der EU hätten sich zwischenzeitlich wirtschaftlich derart positiv entwickelt, dass sie nun selbst einen Fachkräftemangel hätten. Es gebe auch angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland und Europa gar keine andere Perspektive, als diesen wachsenden Bedarf auch durch Zuwanderung von Fachkräften aus dem nicht-europäischen Ausland zu decken.

Foto: Dr. Arnd Küppers

Mit dem Paderborner Moraltheologen Prof. Dr. Peter Schallenberg, zugleich Direktor der KSZ, war ein weiteres Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates von Ordo Socialis auf einem der Konferenz-Panel vertreten. Mit Gerald Knaus, dem durch die Idee des EU-Türkei-Abkommen bekannt gewordenen Vorsitzenden der European Stability Initiative, und Bernward Ostrop vom Deutschen Caritasverband diskutierte Dr. Schallenberg über die zukünftige Ausgestaltung europäischer Migrationspolitik. Knaus, der die Hauptherkunftsländer der afrikanischen Migranten in den letzten Jahren immer wieder besucht hat, betonte die enorme wirtschaftliche Bedeutung, die die Rücküberweisungen der Emigrierten für deren Familien und die afrikanischen Volkswirtschaften insgesamt haben. Deshalb hätten die politisch Verantwortlichen in Afrika gar kein Interesse an Rückkehr und Rückführungen ihrer Staatsbürger. Wenn europäische Politiker das ändern wollten, müssten sie den Gedanken der Migrationspartnerschaft wirklich ernst nehmen und Vereinbarungen anstreben, die echte Win-Win-Situationen erzeugen. Insbesondere wenn Europa legale Wege der Zuwanderung aus Afrika eröffne und unterstütze, könne man auch mehr Hilfe der afrikanischen Partner bei der Rückführung illegaler Zuwanderer erwarten.

Mit seinem „Gambia-Plan“ hat Knaus einen konkreten Vorschlag erarbeitet, wie ein entsprechendes bilaterales Abkommen aussehen könnte: Gambia verpflichtet sich, alle Bürger zurückzunehmen, die nach einem bestimmten Stichtag illegal nach Deutschland einreisen oder die straffällig werden. Im Gegenzug gibt Deutschland allen bereits hier lebenden Gambiern eine Aufenthalts-, Ausbildungs- und Arbeitserlaubnis sowie eröffnet in begrenztem Umfang auch die Möglichkeit weiterer legaler Zuwanderung.

Foto: Dr. Arnd Küppers

Seitens des Vorstands von Ordo Socialis dankten sowohl Prof. Dr. Ralph Bergold als auch Dr. h. c. Josef Thesing der Konrad Adenauer Stiftung dafür, dass sie diese Tagung möglich gemacht hat, sowie für die hervorragende Zusammenarbeit bei der Planung, Organisation und Durchführung des anspruchsvollen internationalen und interdisziplinären Konzepts. Seitens der Stiftung gab Dr. Peter Fischer-Bollin, stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit, den Dank an die Kooperationspartner zurück. Er betonte, dass die Soziallehren der Kirchen nach wie vor zu dem tragenden Fundament der Arbeit der Konrad Adenauer Stiftung gehörten und dass man den von Ordo Socialis und KSZ betriebenen Dialog zu diesem Thema für sehr wertvoll halte und gerne unterstütze.

Foto: Dr. Arnd Küppers

(Español) Tres trabajos importantes

(Español) La Iglesia y la Política

Tipping-Points

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Nils Goldschmidt
Bild: Arnd Küppers

In der Klimadebatte und wissenschaftlichen Klimamodellen ist immer wieder von sogenannten „Tipping-Points“ die Rede. Damit sind Ereignisse oder Entwicklungspunkte gemeint, deren Eintreten zu einer Eskalation des Klimawandels und zum irreversiblen Umkippen ganzer Ökosysteme führen kann. Prof. Dr. Nils Goldschmidt, Ökonom an der Universität Siegen, Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft und Beirat von Ordo socialis, legt dar, dass solche Tipping-Points auch in politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen drohen. Er arbeitet in seinem Aufsatz heraus, dass es so weit nicht kommen muss und dass die Soziale Marktwirtschaft auf gesellschaftlichen Ausgleich durch ordnungspolitische Gestaltung notwendiger Transformationsprozesse zielt. Der Text ist ursprünglich in der Zeitschrift „Die Politische Meinung. Zeitschrift für Politik, Gesellschaft, Religion und Kultur“ erschienen. Wir danken dafür, ihn in die Online-Bibliothek von Ordo socialis aufnehmen zu dürfen.

Erstabdruck in: Die Politische Meinung, 64. Jg., Nr. 558, September/Oktober 2019.

 

 

Soziale Marktwirtschaft – ökologisch erneuern

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Auf den Klimawandel reagieren manche mit Fatalismus, während andere den Klimanotstand erklären und einen radikalen Systemwechsel anstreben. Arnd Küppers findet beide Alternativen nicht sehr verheißungsvoll und plädiert stattdessen im aktuellen Monitor Religion und Politik der Konrad Adenauer Stiftung für eine ökologische Transformation im Geist der Sozialen Marktwirtschaft. Wie schon an den historischen Anfängen der Sozialen Marktwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg liegt für ihn auch mit Blick auf deren ökologische Erneuerung die eigentliche Kunst darin, das sozialethisch Gebotene mit der notwendigen ordnungspolitischen Klugheit umzusetzen.

Monitor Religion und Politik der Konrad Adenauer Stiftung, Berlin 30.01.2020.


Integraler Humanismus und Wirtschaftsökologie

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Missmarple76 CC BY-SA 3.0

Vor fünf Jahren erschien die Sozialenzyklika Laudato si‘ von Papst Franziskus. Darin heißt es: „Es gibt nicht zwei Krisen nebeneinander, eine der Umwelt und eine der Gesellschaft, sondern eine einzige und komplexe sozio-ökologische Krise.“ Entsprechend wirbt der Papst in Laudato si‘ auch für einen ganzheitlichen Ansatz zur Problemlösung. Zentrale Stichworte sind „integraler Humanismus“ und „Wirtschaftsökologie“. Peter Kardinal Turkson, seit drei Jahren Präfekt des neu errichteten Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen, hat diese Begriffe im Zusammenhang mit der Amazonas-Synode noch einmal aufgegriffen und grundlegend erläutert.

(English) Christian Leadership Ethics

(English) The different dimensions of sustainability

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Prof. Dr. Markus Vogt

Markus Vogt, Professor for Christian social ethics at the university of Munich and speaker of the scientific advisory board of Ordo Socials, and his research assistant Christoph Weber have written an essay on the sustainability. They explain seven different dimensions of the concept: ecological, political, ethical, socio-economic, democratic, cultural and theological. The authors say: “We do not want to offer limited definitions, but rather to stimulate a debate about rehabilitating the sustainability concept.”

first published online by Cambridge University Press: 07 February 2019, CC BY 4.0

https://doi.org/10.1017/sus.2019.1

Christlicher Glaube und ökologische Erneuerung

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Prof. Dr. Markus Vogt, Bild: Arnd Küppers

Im 2018er-Bericht an den Club of Rome mit dem Titel „Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen“ äußern die Autoren auch große Erwartungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Katalysatoren des notwendigen öko-sozialen Wandels. Als leuchtendes Beispiel gilt ihnen Papst Franziskus mit seiner Enzyklika Laudato si‘. Markus Vogt, Professor für Christliche Sozialethik an der LMU München und Sprecher des Wissenschaftlichen Beirates von Ordo Socialis, greift diesen Impuls auf und erörtert die Frage, inwieweit der christliche Glaube Motivation und Impulse setzen kann, um zu einer ökologischen Erneuerung und nachhaltig zukunftsfähigen Gesellschaft zu kommen. 

Christlicher Glaube und ökologische Erneuerung

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Prof. Dr. Markus Vogt, Bild: Dr. Arnd Küppers

Im 2018er-Bericht an den Club of Rome mit dem Titel „Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen“ äußern die Autoren auch große Erwartungen an die Kirchen und Religionsgemeinschaften als Katalysatoren des notwendigen öko-sozialen Wandels. Als leuchtendes Beispiel gilt ihnen Papst Franziskus mit seiner Enzyklika Laudato si‘. Markus Vogt, Professor für Christliche Sozialethik an der LMU München und Sprecher des Wissenschaftlichen Beirates von Ordo Socialis, greift diesen Impuls auf und erörtert die Frage, inwieweit der christliche Glaube Motivation und Impulse setzen kann, um zu einer ökologischen Erneuerung und nachhaltig zukunftsfähigen Gesellschaft zu kommen. 

(English) The different dimensions of sustainability

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Prof. Dr. Markus Vogt

Markus Vogt, Professor for Christian social ethics at the university of Munich and speaker of the scientific advisory board of Ordo Socials, and his research assistant Christoph Weber have written an essay on the sustainability. They explain seven different dimensions of the concept: ecological, political, ethical, socio-economic, democratic, cultural and theological. The authors say: “We do not want to offer limited definitions, but rather to stimulate a debate about rehabilitating the sustainability concept.”

first published online by Cambridge University Press: 07 February 2019, CC BY 4.0

https://doi.org/10.1017/sus.2019.1

Gratwanderung zwischen virologischer Vorsicht und ökonomischer Risikobereitschaft

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Interview mit Prof. Dr. Peter Schallenberg

Monsignore Dr. Peter Schallenberg ist Professor für Moraltheologie an der Theologischen Fakultät Paderborn und Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle in Mönchengladbach. Darüber hinaus ist er als außerordentlicher Konsultor bei dem Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in Rom tätig, das von Peter Kardinal Turkson geleitet wird.

Professor Schallenberg setzt sich in einem aktuellen Beitrag mit den ethischen Fragen der medizinischen Triage auseinander. Den Text können Sie hier abrufen.

In Ergänzung zu diesem Aufsatz hat sich Arnd Küppers mit dem Autor über die derzeitige Situation im Vatikan und über sozialethische Fragen im Zusammenhang mit der Pandemie unterhalten.

Arnd Küppers (AK): Lieber Peter, neben Deinen Tätigkeiten als Professor an der Theologischen Fakultät in Paderborn und Direktor der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle in Mönchengladbach bist Du auch als Konsultor des Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in Rom tätig. Kannst Du dieser Aufgabe in Zeiten der Corona-Epidemie überhaupt nachkommen?

Peter Schallenberg (PS): Die Tätigkeiten der römischen bzw. vatikanischen Behörden, auch Dikasterien genannt, sind momentan stark reduziert , insofern nur die vor Ort ansässigen Mitarbeiter im Büro sind, und alle auswärtigen bzw. ausländischen Mitarbeiter nicht nach Rom gelangen können. Daher beschränkt sich momentan auch meine Aufgabe auf Telefonkonferenzen mit den römischen Mitarbeitern meines Dikasteriums, insbesondere mit Kardinal Peter Turkson, und auf die Erstellung von Texten und Stellungnahmen, wiederum vornehmlich für Kardinal Turkson, den Präfekten des Dikasteriums.

AK: Wie ist die Situation derzeit in Rom und im Vatikan? Viele der Bischöfe und Kardinäle in Rom, auch der Papst, gehören ja schon allein aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe in der Pandemie. Sind auch sie und ihre Mitarbeiter vor Ort derzeit alle im Homeoffice?

PS: Seit dem 10. März waren die vatikanischen Dikasterien sozusagen im Zustand des Notaggregates, außer das päpstliche Staatssekretariat, das immer in gleicher stetiger Weise arbeitet und arbeiten muß. Alle anderen Dikasterien hatten zum Teil auf Homeoffice umgestellt, sofern das möglich war, ohne die notwendige Geheimhaltung zu beeinträchtigen. Zum Teil, da es wie zum Beispiel im Fall der Bischofskongregation um geheim zu haltende Personalangelegenheiten geht, war man mit vermindertem Personalbestand tätig. Jetzt ist inzwischen weitgehend wieder Normalität eingekehrt, zumindest was die Arbeit der italienischen und vor Ort tätigen Mitarbeiter betrifft. Der Papst selbst ist wegen seines Alters und seiner Gebrechlichkeit in strenger Abschirmung im Palazzo Santa Marta; viele der Bischöfe und Kardinäle im höheren Alter waren ebenfalls in ihren Wohnungen geblieben, um sich nicht unnötig zu gefährden.

AK: In Deutschland, Italien und den anderen Staaten beginnen die Regierungen nach Wochen des Lockdowns damit, das öffentliche Leben vorsichtig wieder hochzufahren. Gibt es solche Überlegungen auch im Vatikan? Wann wirst Du selbst wieder ins Dikasterium nach Rom zurückkehren können.

PS: Seit Montag 4. Mai wird auch in den vatikanischen Behörden der normale Arbeitsalltag wieder aufgenommen, allerdings sind Petersplatz und die Petersbasilika noch nur beschränkt zugänglich; die Vatikanischen Museen werden wohl Ende Mai wieder unter strengen Sicherheitsvorkehrungen geöffnet werden, was im Blick auf ihre wichtige finanzielle systemrelevante Bedeutung für die fragilen vatikanischen Einnahmequellen nicht ganz unwichtig ist. Denn der Vatikan wie auch der Hl. Stuhl verfügt ja bekanntlich nicht über eigene Steuereinnahmen, sondern finanziert sich gänzlich aus Spenden und eben den nicht unerheblichen Einnahmen aus den Eintrittsgeldern der Vatikanischen Museen.

AK: In Deinem Aufsatz setzt Du Dich mit den medizinethischen Fragen der Triage auseinander. In Deutschland ist es glücklicherweise bislang nicht zu einer Überforderung des Gesundheitssystems und der Notwendigkeit von Triage gekommen. Uns beschäftigen im Augenblick stärker die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns. Wie sind nach Deiner Ansicht Gesundheitsinteressen und wirtschaftliche Interessen in der Pandemie mittelfristig zu gewichten?

PS: Aus der Sicht des Staates geht es gerechterweise im Augenblick um das Überleben und die gleiche und gerechte Verteilung der Ressourcen im Gesundheitswesen; glücklicherweise waren wir dank eines stabilen dualen Gesundheitswesens (ambulante und stationäre Gesundheitsversorgung) und einer im europäischen und internationalen Vergleich sehr hohen Zahl an Intensivbetten und Beatmungsplätzen nie in der Notwendigkeit, Triage im intensivmedizinischen Bereich einsetzen zu müssen. Natürlich sind wirtschaftliche Interessen nicht nur im Auge zu behalten, sondern mit den medizinischen Gesundheitsinteressen zu kombinieren: Medizin finanziert sich eben durch wirtschaftliche Prosperität. Insofern ist die einfache Rede von einer Güterabwägung zwischen der Gesundheit einerseits und der Wirtschaft andererseits etwas unterkomplex und in die Irre führend, denn die Gesundheit kann bestmöglich garantiert werden, sofern die Finanzierung der öffentlichen wie auch privaten Gesundheitsausgaben gesichert ist, und das hängt natürlich ab von einer stabilen Wirtschaft und nicht zuletzt auch von stabilen Steuereinnahmen. Kurzfristig hat ohne Zweifel das pure Überleben immer den Vorrang, mittel- und langfristig braucht es aber eine Gratwanderung zwischen virologischer Vorsicht und ökonomischer Risikobereitschaft.

AK: Das Subsidiaritätsprinzip ist bekanntlich katholischen Ursprungs. In der Pandemie hat der Staat eine weitgehende Kontrolle über das öffentliche, gesellschaftliche und selbst das private Leben übernommen. Ist das alles akzeptabel, und wäre es insbesondere auch für eine längere Dauer akzeptabel unter Rücksicht auf den Subsidiaritätsgedanken?

PS: In der Bundesrepublik Deutschland, wie auch übrigens in Österreich und der Schweiz, wird das Prinzip der Subsidiarität bekanntlich in Form des Föderalismus durchdekliniert: Der Zentralstaat gibt die Rahmenbedingungen vor, die Durchführung und Ausgestaltung in den Details ist Ländersache, im Bildungsbereich sehr föderal und divers, im Gesundheitswesen weniger föderal und stärker zentralisiert. Im Unterschied zu traditionell sehr stark etatistisch und zentralisiert organisierten Staaten wie Frankreich und Italien, auch mit Abstrichen Spanien, sind wir mit diesem föderalen Subsidiarismus immer sehr gut gefahren, auch jetzt in der Corona-Krise. Das liegt wesentlich wohl an zwei Gründen: föderal und in kleinen Einheiten kann besser auf unterschiedliche Problemfelder und Problempunkte reagiert werden; außerdem stärkt der Föderalismus den Wettbewerb um  die je bessere Lösung beim Auftauchen neuer Probleme, wie ein Blick auf den Wettlauf zwischen Bayern und NRW  um das bessere Krisenmanagement deutlich zeigt. Insgesamt gilt: Es braucht einen starken, aber schlanken Staat ohne bürokratisierte Verwaltungsselbstbeschäftigungsverfettung, oder anders: Viele Köchen verderben zwar den Einheitsbrei, wenn es aber um individuelle Breieinheiten und Lösungen geht, sind viele Köche mit unterschiedlichen Perspektiven von Vorteil. Dann braucht es immer noch den Staat als Moderator und Koordinator, weniger als Kontrolleur. In Zeiten der Krise ist der Staat immer auch als Kontrollinstanz gefordert, nach der Krise muss das überprüft und gegebenenfalls wieder auf ein notwendiges Minimalmaß zurückgestutzt werden.


(English) Social Market Economy – renewing ecologically

(English) Social ethics in a Time of Pandemic

Die Pandemie als soziale und politische Herausforderung

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Es wird immer offensichtlicher, dass die Corona-Pandemie nicht nur eine Herausforderung für das Gesundheitssystem, sondern auch für Volkswirtschaft, gesellschaftlichen Zusammenhalt und sogar für die Demokratie darstellt. Zu den damit verbundenen sozialethischen Fragen haben sich die Freiburger Theologin Prof. Dr. Ursula Nothelle-Wildfeuer und ihr Mitarbeiter Lukas Schmitt in einem Artikel für die „Grüne Reihe“ und der Essener Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck in einem Interview mit der Konrad-Adenauer-Stiftung geäußert. Beide Beiträge betonen die Bedeutung der Solidarität in dieser Krise: Solidarität innerhalb der Gesellschaft, in Europa und weltweit. Zugleich stellen beide heraus, wie vielschichtig die mit der Pandemie verbundenen Herausforderungen sind und wie wichtig es daher ist, in Respekt und demokratischem Miteinander einen gemeinsamen Weg durch die Krise zu finden.

  • Solidarität in der Corona-Gesellschaft, Reihe „Kirche und Gesellschaft“ Nr. 470 der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle (KSZ), Mönchengladbach 2020, ISSN 2699-2485 (Print), ISSN 2699-6278 (Online).

  • Vertrauen ist der Grundpfeiler unserer liberalen Demokratie, Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Berlin 2020, ISBN 978-3-95721-671-7, CC BY-SA 4.0 (abrufbar unter: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/legalcode.de).

Laudato si‘ – Bilanz und Perspektiven nach fünf Jahren

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„Hope from the Pope“ lautete die Überschrift des Editorials der Zeitschrift Nature vom 25. Juni 2015. Gemeint war die eine Woche zuvor in Rom veröffentlichte Enzyklika Laudato si᾽ von Papst Franziskus, und die Hoffnung war darauf gerichtet, dass diese eindringliche Wortmeldung des Papstes helfen könnte, eine klimapolitische Wende herbeizuführen. Tatsächlich gelang einige Monate später auf dem Pariser Weltklimagipfel ein unerwarteter Durchbruch in den Verhandlungen. Nicht wenige Beobachter meinten hinterher, dass das Engagement des Papstes und insbesondere seine Enzyklika einen ganz entscheidenden Unterschied gegenüber vorherigen Treffen ausgemacht hätten.

Seitdem sind fünf Jahre vergangen – Zeit eine Zwischenbilanz zu ziehen. Dieser Aufgabe stellt sich ein Kolloquium, das am 24. Juni von 14 – 15.30 Uhr stattfinden wird –wegen der Corona-Pandemie in digitaler Form. Ordo Socialis ist Kooperationspartnerin dieser von dem Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen und der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle geplanten Veranstaltung. Neben Peter Kardinal Turkson und dem Essener Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck werden namhafte Theologinnen und Theologen sowie Sozial- und Umweltethikerinnen bzw. –ethiker verschiedene Aspekte der Enzyklika aufgreifen und diskutieren. Unter den Referentinnen und Referenten sind mehrere Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirates von Ordo Socialis.

Zur Teilnahme ist eine persönliche Anmeldung bis spätestens 22. Juni erforderlich. Nähere Informationen finden Sie hier.

Sozialethik – dezidiert christlich

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Dr. Dr. Elmar Nass ist als katholischer Theologe und Priester an der evangelischen Wilhelm Löhe Hochschule in Fürth Professor für Wirtschafts- und Sozialethik. Soeben ist sein neues Buch zur Christlichen Sozialethik erschienen. Vor allem dessen Untertitel „Orientierung, die Menschen (wieder) gewinnt“ hat unser Interesse geweckt. Wir haben darüber – und auch über andere aktuelle Fragen – ein Gespräch mit dem Autor geführt, der auch unserem Wissenschaftlichen Beirat angehört. Die Fragen stellte Arnd Küppers.

Arnd Küppers (AK): Lieber Elmar, Du hast ein neues Buch zur Christlichen Sozialethik geschrieben. Lass mich zu Beginn unseres kleinen Interviews etwas provokativ die Frage stellen: War das wirklich nötig? Gibt es nicht schon genug Lehrbücher zur Christlichen Sozialethik?

Elmar Nass (EN): Ja, da hast Du vollkommen Recht. In meinen Regalen finden sich eine ganze Reihe davon. Meine Motivation ist, diese Reihe zu ergänzen durch eine Perspektive, die aus meiner Sicht derzeit untergeht. Ich habe mich also nicht darangesetzt, aus vorliegenden Werken von Kollegen eine Zusammenfassung zu erstellen oder einfach Bekanntes zu wiederholen. Das brauchten wir wirklich nicht. Mein Buch versteht sich vielmehr als ein pointierter eigener Ansatz christlicher Sozialethik, der momentan herrschende Denkmuster herausfordert. Er folgt ausdrücklich nicht dem bestimmenden Paradigma einer christlichen Sozialethik, die vor allem anschlussfähig sein will an säkulare Theorien. In diesem Versuch (post)moderner Sprachfähigkeit sehe ich die Gefahr, die eigenen Wurzeln zu verlieren, in säkularen Denkmustern aufzugehen und schließlich nichts erkennbar Eigenes mehr zu sagen zu haben. Dann wäre christliche Sozialethik irrelevant. Stattdessen wird von mir ein ausdrücklich theologischer Entwurf vorgelegt, der biblisches und lehramtliches Zeugnis an den Anfang stellt. Christliche Sozialethik wird hier als Teilauftrag der christlichen Heilsgeschichte verstanden, die als solche auch so benannt wird. Andere Ethiken legen ja auch ihre (säkularen) Quellen und Postulate offen, und argumentieren ganz selbstverständlich auf deren Grundlage (etwa kantisch, utilitaristisch, diskursethisch o.a.). Das sollten wir als Christen in der Sozialethik analog auch tun, nur eben mit unseren Postulaten und normativen Fundamenten. Der ausdrückliche Gottesbezug in der Begründung macht christliche Ethik nicht weniger wissenschaftlich, sondern im Gegenteil erst relevant, um auf Augenhöhe mit alternativen Positionen konstruktiv zu streiten.

AK: Was an dem Buch sofort ins Auge fällt ist der Untertitel: „Orientierung, die Menschen (wieder) gewinnt“. Das hört sich in meinen Ohren fast ein wenig missionarisch an. Ist das auch so gemeint, also glaubst Du, dass die Kirche mit ihrer Soziallehre Menschen für sich und den Glauben zurückgewinnen kann?

EN: Der Begriff „missionarisch“ klingt vielen ja heute abstoßend, weil damit gleich negative Bilder falsch verstandener Missionierung assoziiert werden. Jenseits solcher Vorurteile bekenne ich mich aber zu diesem jesuanischen Anspruch, den Menschen heute die Botschaft des Evangeliums nahezubringen. In diesem Sinne sollte christliche Sozialethik also missionarisch sein, als ein Angebot, wie es die französischen Bischöfe 1996 formulierten. Fraglos befinden wir uns in Deutschland, aber auch anderswo, auf dem Weg einer Entchristlichung. Diese hat viele Gründe. Wenn die in der Botschaft Jesu begründete (Sozial-)Ethik verloren geht, wird sich unsere Gesellschaft andere Begründungen etwa für Würde, Freiheit und Gerechtigkeit suchen. Aber welche können da wirklich überzeugen? Vielleicht eine andere Religion: Doch welcher Religionsgründer hat eine humanistischere Botschaft als Jesus von Nazareth? Vielleicht eine säkulare Vernunftethik: Doch wenn der ethische Universalist Immanuel Kant jetzt gerade vom Sockel gestürzt werden soll, welche Begründungen von Freiheit, Würde und Gerechtigkeit wollen dann noch überzeugen? Vielleicht findet sich die Gesellschaft ab mit Pragmatismus ohne Gesetze von Religion und Vernunft: Aber was hält uns dann noch zusammen? Was garantiert wirklich unsere Werte? China steht schon bereit zu einem umfassenden Imperialismus: Heute Hongkong, morgen Taiwan, und irgendwann auch wir. Ohne feste Werte sind wir ein Spielball solcher Mächte. Die Orientierung an Jesus Christus ist dagegen ein verlässlicher Kompass für Würde, Freiheit und Gerechtigkeit. Allein deshalb lohnt es sich, für Jesu Botschaft zu werben. Sogar der säkulare Philosoph Charles Taylor hat diese Kraft des Christlichen für die Stabilität einer Gesellschaft betont. Wenn wir uns diesen Schatz unserer Ethik schon von außen zusagen lassen müssen, sollten wir umso mehr selbstbewusst damit in die Öffentlichkeit gehen und die Gesellschaft mit unseren Werten und Prinzipien mitgestalten. In solchem Streiten und Ringen mit Profil, das sich nicht anpasst, sondern sich an der Botschaft Jesu orientiert, ecken wir auch an. Aber wir geben eine streitbare wie erkennbare Orientierung. Damit können wir suchende Menschen wiedergewinnen. Das meint missionarische Sozialethik.

AK: Ich habe den Eindruck, dass viele – auch viele innerhalb der Kirche, bis hin zu manchen Bischöfen – die Sozialethik doch eher als einen Randbereich der Theologie betrachten, der am Ende des Tages nicht so wichtig ist und auf den man zur Not auch verzichten kann, wenn etwa eine Theologische Fakultät Geld sparen muss. Ich verstehe Deinen Ansatz so, dass das ganz und gar nicht Deine Position ist, oder?

EN: Das siehst Du sehr richtig. Mit meinem Buch versuche ich ausdrücklich christlich begründete Antworten auf drängende Fragen unserer Zeit anzudenken. Themen wie die Bewahrung der Schöpfung, Krieg und Frieden, Terror, Familie, Sterbekultur, Arbeit, Marktwirtschaft, soziale Gerechtigkeit, Führungskultur, Digitalisierung u.v.a.m. werden angegangen auf der Grundlage von drei Fundamenten:  erstens unser christliches Menschenbild, das besser als alle anderen Philosophien die unbedingte Würde gerade auch der Schwachen und Fremden begründen kann; zweitens unser Verständnis dreifacher Verantwortung gegenüber Gott, uns selbst und dem Nächsten sowie drittens das Ziel des menschlichen Zusammenlebens als Menschheitsfamilie. Damit können nicht alle Detailfragen beantwortet, aber wesentliche Orientierungen gegeben und zahlreiche alternative ethische Positionen unserer Tage eindeutig verworfen werden. Dieser Kompass ist die theologisch geschlagene Brücke zu den drängenden sozialen Fragen unserer Zeit. Hier können wir Christen die Relevanz der Botschaft Jesu unter Beweis stellen, wenn wir tatsächlich mit Jesu Botschaft argumentieren und daraus unsere Antworten ableiten, die eben nicht von Machtinteressen, Medien, Militär, Markt, Lobbys oder politischen Ideologien gelenkt sind, sondern ein Spiegel der Botschaft Jesu für unsere Zeit sind. Vorbilder sind mir dabei etwa die großen Humanisten Erasmus von Rotterdam oder Philip Melanchthon. Christliche Sozialethik kann die Relevanz des Christlichen in bewegenden sozialen Fragen unter Beweis stellen. Gibt sie transparente, glaubwürdige Orientierungen, kann sie missionarisch wirksam viele suchende Menschen für Christus und die Kirche begeistern. Das muss ein Kernfach zukunftsfähiger Theologie sein!


AK: Du bist als katholischer Theologe seit sieben Jahren Professor an einer Hochschule in evangelischer Trägerschaft. Inwieweit hat diese „gelebte Ökumene“ die Inhalte Deines Buches beeinflusst? Verstehst Du Deinen Ansatz vielleicht sogar als eine ökumenische Sozialethik?

EN: Die ökumenische Note will ich gar nicht leugnen. Ich schätze hier in Fürth sehr den ökumenischen Dialog, hilft er doch, die eigene Argumentation zu schärfen, etwa das biblische und jesuanische Argument. Auch entdecke ich hier manche Brücken in der Argumentation, die im katholischen Binnenraum verdeckt und durch manches verhärtete Vorurteil verbaut sind. In dem Buch wird auch über das Christliche hinaus Ausschau gehalten nach Brücken in andere Religionen und säkulare Weltanschauungen hinein. Hier gibt es manche überraschende Verbindungen. Klar ist im Ganzen aber, dieses Buch argumentiert aus einer katholischen Perspektive. Alles andere wäre vermessen. Dennoch habe ich versucht, immer wieder Brücken zu evangelischen Positionen zu schlagen und vor allem auf der Begründungsebene das ökumenisch Verbindende herauszustellen: unser gemeinsames Menschenbild etwa, oder die gerade auch von evangelischen Denkern maßgeblich geprägte Idee sozialer Marktwirtschaft. So hat es mich sehr gefreut, dass das Buch jetzt positiv von dem evangelischen Ökonomen Christian Hecker im „Forum Wirtschaftsethik“ vorgestellt wurde. Für mein Buch mag ich aber nicht von einer ökumenischen Sozialethik sprechen. Das ist ein anstehendes, nächstes Projekt. Ideen dazu gibt es bereits …

AK: Gib uns doch zum Schluss ein kleines Anwendungsbeispiel: Die derzeitige Corona-Pandemie stellt uns nicht nur vor medizinethische Fragen im Zusammenhang etwa mit der Triage, die in Italien traurige Realität war und über die derzeit in den Niederlanden debattiert wird. Es stellen sich auch eine ganze Reihe sozialethischer Fragen, zum Beispiel wenn behördlich angeordnete Eindämmungsmaßnahmen oder gar ein Lockdown die Geschäftsmodelle ganzer Branchen gefährden, Unternehmen mit der Pleite und deren Angestellte mit der Arbeitslosigkeit bedrohen. Was kann eine dezidiert Christliche Sozialethik aus ihrem Proprium zu so einer Debatte beitragen, was andere Ethik-Ansätze nicht auch zu bieten haben?

EN: Das Corona-Thema konnte in dem Buch noch nicht mit behandelt werden. In einer möglichen Neuauflage aber würde es sicher ergänzt. Gerne versuche ich eine solche Positionierung. Dabei ist aber zuerst festzuhalten: Entscheidend ist aus meinem Verständnis christlicher Sozialethik, dass unsere Antworten schlüssig und transparent im Kontext des christlichen Heilsauftrages beantwortet werden, also auf den soeben genannten drei Säulen ruhen.  Wenn es dann andere ethische Positionen sind, die zu einem gleichen Ergebnis kommen, so ist das erfreulich, und Koalitionen sind möglich. Man muss also nicht zwingend immer nach dem Unterscheidenden suchen. Profilgebend ist stets die plausible ausdrücklich christliche und nicht irgendwie säkular anschlussfähige Begründung. Alles entscheidend ist die Stringenz der eigenen Argumentation aus der christlichen Botschaft. Ich frage anschließend erst nach der Anschlussfähigkeit alternativer Ethiken an die christliche Position.

Für die Lockdown-Frage kommen also die biblisch wie lehramtlich belegten Ideen von Würde, Verantwortung und Zusammenleben zum Einsatz. Der Anti-Lockdown-Utilitarismus will Lebensjahre retten, rechnet Lebensjahre in Geldeinheiten um und bilanziert dann Geldsummen miteinander, um am Ende den Vorzug einer Herdenimmunität o.ä. zu belegen. Lebensjahre jetzt sollen geopfert werden, um Lebensjahre in Zukunft zu retten. Das macht Opfer in der Gegenwart (vor allem alter Menschen) erforderlich. Die christlich begründete Idee der Personalität verbietet eine solche Verrechnung von Leben der Gegenwart mit Leben der Zukunft. Die Idee der Gottesebenbildlichkeit verbietet die Unterordnung der Würde unter Nutzenkategorien ebenso wie die Monetarisierung von Leben(sjahren). Christlich begründete Verantwortung weist biblisch begründet auch der Selbstliebe einen hohen Wert zu.

Das klingt vielleicht alles etwas abstrakt, deswegen gebe ich ein konkretes Beispiel: Pater Giuseppe Berardelli, ein 72jähriger Priester aus dem norditalienischen Bergamo, der in der Corona-Pandemie die Menschen weiterhin seelsorgerisch begleitet hat. Als er selbst an COVID 19 erkrankte, verzichtete er zugunsten eines jüngeren Patienten auf seinen Beatmungsplatz im Krankenhaus. Das war ein moralisch heroischer Akt. Aber ein solches freiwillige Opfer kann und darf nicht als soziale Pflicht eingefordert werden. Denn dadurch würde der Druck auf ältere Menschen steigen und die schiefe Bahn zum Sozialdarwinismus beschritten. Christliche Sozialethik fördert zudem in der Diskussion um das künftige Zusammenleben eine Kultur der Hoffnung und des Zusammenhalts von Alt und Jung, gut begründet im biblischen Zeugnis. Auch andere Ethiken können zu vergleichbaren Resultaten kommen, doch stehen deren Begründungen nach meiner Ansicht mitunter auf schwankendem Boden im Vergleich zu dem festen Fundament, auf dem eine explizit christliche Ethik ruht.

Nähere Angaben zu dem neuen Buch von Prof. Dr. Dr. Elmar Nass finden sich hier:

https://www.kohlhammer.de/wms/instances/KOB/appDE/Philosophie/Ethik/Christliche-Sozialethik

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